Dienstag, Dezember 25, 2018

"Im Uranfang war Er, das Wort. Und Er, das Wort, war bei Gott. Und Gott war Er, das Wort. Der war im Uranfang bei Gott. Alles ist durch Ihn geworden, und ohne Ihn geworden ist nicht eines. Was geworden, war Leben in Ihm. Und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis."
JOH 1, 1-5
"Mutters Erkrankung, ihre Trauer darüber, die sie immer wieder zu bekämpfen suchte, ihr langsames Erlahmen, war wie ein undurchdringlicher Schleier, der sich auf das Leben legte. Er zerteilte die Welt in zwei Teile. In die Wirklichkeit, in der ich tatsächlich lebte und immer noch einigermassen zufriedenstellend funktionierte, obschon ich diese Wirklichkeit immer mehr als unwirklich wahrnahm. Und die eigentlicheWirklichkeit, die sich in der Erkrankung der Mutter abspielte, an deren Ende der unausweichliche Tod stand, über den kein Wort verloren wurde. Die eigentliche Wirklichkeit war also die Sprachlosigkeit, die unformulierbar war. Die Wörter verloren ihren Wert, ihren Sinn. Ich wurde zu einem Menschen ohne Wörter, ich wurde stumm."
HANSJÖRG SCHNEIDER: Kind der Aare. Zürich : Diogenes, 2018, 133

Sonntag, Dezember 16, 2018

"Die Begriffe rechts und links werden seit mehr als zweihundert Jahren benutzt, und ich glaube, man wird sie auch in zweihundert Jahren immer noch verwenden. Allerdings glaube ich nicht, dass das heute die wichtigste Spaltung ist. Für mich besteht die wichtigste Spaltung zwischen den profaktischen und den antifaktischen Kräften. Es gibt zwar auch bei der extremen Linken Vertreter des Antifaktischen, aber im Wesentlichen gehören die Antifaktischen zu jenen, die zum Klimawandel beitragen oder über grosse Teile des Weltreichtums verfügen - und die deshalb nicht wollen, dass wir über die Fakten nachdenken. Donald Trump ist ein Fachmann des Antifaktischen. Mit dem Begriff Fake News greift er ausgerechnet jene an, die Fakten sammeln. In Deutschland wird dazu das Wort "Lügenpresse" benutzt, dabei geht es um genau das Gleiche."
TIMOTHY SNYDER im Gespräch mit Sieglinde Geisel: Das Kalkül des Kremls. In: Das Magazin, 2018, N° 47 (24. November 2018), 32
 

Montag, Dezember 03, 2018

SCHIRACH
"Vielleicht brauchen wir auch keine grossen philosophischen Erklärungen. Wir können heute sogar sehen, dass wir tolerant sein müssen. Die Voyager I startete 1977 von Cape Canaveral, sie ist die erste Sonde, die unser Sonnensystem verliess. Obwohl die Sonde eigentlich keine Kraft mehr hatte, schickte sie 1990 letzte Fotos zur Erde, über eine Strecke von 6 oder 7 Milliarden Kilometern, der grössten Entfernung, aus der jemals ein Foto gemacht wurde. Auf einem dieser Fotos ist unser Sonnensystem zu erkennen, viele Sterne und links [i.e. rechts] unten ein kleiner hellblauer Punkt, noch nicht mal von der Grösse einer Stecknadel. Das ist die Erde, dort ist alles, was wir waren und was wir sind. Das Foto hängt über meinem Schreibtisch. Wenn Sie es ansehen, wird Ihnen klar, wie verrückt wir sind, dass wir Kriege führen und uns töten. In unserer Milchstrasse gibt es 100 Milliarden Sonnensysteme und im Weltall 100 Milliarden solcher Galaxien. Das alles zusammen sind etwa 10% des Universums, der Rest ist leer und minus 270° C kalt. Wir sind vergänglich, wir haben keine Gewalt über unser Leben. Marc Aurel schrieb, Alexander der Grosse und sein Maultiertreiber haben am Ende den gleichen Weg genommen. Es bleibt uns nichts übrig, wir müssen zusammenhalten."
FERDINAND VON SCHIRACH, ALEXANDER KLUGE: Die Herzlichkeit der Vernunft. München : Luchterhand, 2017, 71