Sonntag, April 16, 2006


Bild: Hugo Keller
Zürich, 08.10.2004
Zoo
"Christen [...] glauben, dass Jesus Christus 'um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt' worden ist (Röm. 4, 25). Sie glauben an das, was Karl Barth, einer der bedeutendsten protestantischen Theologen des vergangenen Jahrhunderts, einen unbegreiflichen Tausch nennt: Gott setzt sich an die Stelle des Menschen, und der Mensch wird an die Stelle Gottes gesetzt. Gott erniedrigt sich, indem er Mensch und sein Wort Fleisch wird; und Gott erhöht den Menschen, indem er den als leibhafter Mensch gestorbenen Jesus - den toten Christus - auferweckt. Dieser unbegreifliche Tausch ist das eigentliche Geheimnis des Osterfestes.
[...] Unmittelbar bevor der gekreuzigte Jesus stirbt, entfährt ihm der Schrei: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?'
In diesem Schrei, so der eminente katholische Theologe Hans Urs von Balthasar, versinkt der Gottessohn in der Totenwelt, 'aus der kein Wort von ihm mehr heraustönt'. [...] Gibt die Gottverlassenheit, die im Moment des Todes Jesu sich kundtut, einen Fingerzeig? Balthasar spricht - tastend - davon, dass sich im Totsein Jesu alle Gottlosigkeit, alle Sünde der Welt, 'realisiere'; oder auch: dass der gestorbene Erlöser im Totenreich der 'reinen Sünde als solcher' ansichtig werde, der 'absoluten Lebensentleerung des Toten'. [...]
Ohne den Sohn, heisst es im Johannesevangelium, kann niemand den Vater sehen oder zum Vater kommen. Darum wird, so Balthasar weiter, an dem Tag, da der Sohn tot ist und den Vater nicht sehen kann, 'niemand Gott sehen, von ihm hören, zu ihm gelangen'. Und dieser Tag ist der Karsamstag.
[...] Kein Christ ist dagegen gefeit, dass der Karsamstag sich in ihm als Stimmung gleichsam ausdehnt. Es kann sich, wie es der Philosoph Hegel vor zweihundert Jahren formulierte, 'das schmerzliche Gefühl, dass Gott selbst gestorben ist', breitmachen. Das Gemüt, von dem dieses Gefühl Besitz ergriffen hat, ist ein unglückliches. Es kann sein Unglück - seine Gottferne und Glaubensschwäche - in dem Sarkasmus zu ertränken versuchen, der später aus Nietzsches Zarathustra sprach. Der hat den Teufel sagen hören: 'Gott ist tot; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.'"

UWE JUSTUS WENZEL: Gott war tot. In: NZZ, 15./16.04.2006, 1.


Bild: Hugo Keller
Wilanow, Polen, o9.09.1995

Sonntag, April 09, 2006

"Auf jeden Fall bin ich approximativ. [...] Ein ungefährer Mensch, ein ungefähres Leben, das von einer ungefähren Welt und einer ungefähren Gesellschaft träumt. Das nennt man übrigens Zivilisation: das Streben nach dem Ungefähren. Sobald man über das Ungefähre hinausgehen will, befindet man sich im Unmenschlichen. Jenseits des Ungefähren ist man bei Hitler und Stalin angelangt. [...] Das einzige, was nicht ungefähr ist, ist der Tod."

ROMAIN GARY, zit. nach: Judith Klein: Heisshunger auf Leben. Der Schriftsteller Romain Gary und sein Werk. In: NZZ, 04./05. März 2006, 72.