Sonntag, November 24, 2013

"Es gibt keine Erfahrung der intensiven Gegenwart, die wuchtiger ist als die Erfahrung, eine Geschichte zu schreiben, weil Sie beschäftigen sich da ausschliesslich mit Ihrer Phantasie. Sie sind ganz bei sich selbst, wollen auch gar nicht mehr in die Welt hinaus. Und weil Sie ganz bei sich selbst sind und nichts Sie entfremdet, erleben Sie es als eine besonders intensive Form der Gegenwart. Da kann alles andere, was von aussen kommt, mag's noch so schön sein, mag's noch Venedig sein, nicht mithalten."
PETER BIERI in: SRF1, Sternstunde Philosophie, 24.11.2013
"Ohne dass wir dessen gewahr wurden, ist in einer kurzen Zeitspanne, in jener, die uns von den siebziger Jahren trennt, ein neuer Mensch geboren worden.
Er oder sie hat nicht mehr den gleichen Körper und nicht mehr dieselbe Lebenserwartung, kommuniziert nicht mehr auf die gleiche Weise, nimmt nicht mehr dieselbe Welt wahr, lebt nicht mehr in derselben Natur, nicht mehr im selben Raum.
Geboren unter Periduralanästhesie während einer geplanten Geburt, fürchten sie nicht länger den gleichen Tod, zumal ihnen die Segnungen der Palliativmedizin zur Verfügung stehen.
Mit einem anderen Kopf ausgestattet, erkennen sie anders, als ihre Eltern es noch taten.
Sie schreiben anders. Nachdem ich voller Bewunderung gesehen habe, wie sie, schneller als ich mit meinen steifen Fingern es je vermöchte, mit ihren beiden Daumen SMS verschicken, habe ich sie mit der grössten Zuneigung, die ein Grossvater zum Ausdruck bringen kann, auf die Namen Däumelinchen und Kleiner Däumling getauft - [...]"
MICHEL SERRES: Erfindet euch neu : eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation. Deutsche Erstausg. Berlin : Suhrkamp, 2013, S. 15 

Sonntag, November 10, 2013

"Lange Zeit habe ich auf die Liebe gewartet, und jetzt, jetzt ist es der Tod, auf den ich warte. So geht es im Leben: die Liebe vor dem Tod und der Tod nach der Liebe. Aber vielleicht ist deine Zärtlichkeit, oh Tod, etwas ganz Wirkliches, dein Friede sanft für immer. Vielleicht erschreckst du nur die Lebenden. Aber die Toten: Was dringt von ihnen herüber? Vielleicht diese Freude in der Luft, wenn es Frühling wird."

S. CORINNA BILLE