Dienstag, Dezember 25, 2018

"Mutters Erkrankung, ihre Trauer darüber, die sie immer wieder zu bekämpfen suchte, ihr langsames Erlahmen, war wie ein undurchdringlicher Schleier, der sich auf das Leben legte. Er zerteilte die Welt in zwei Teile. In die Wirklichkeit, in der ich tatsächlich lebte und immer noch einigermassen zufriedenstellend funktionierte, obschon ich diese Wirklichkeit immer mehr als unwirklich wahrnahm. Und die eigentlicheWirklichkeit, die sich in der Erkrankung der Mutter abspielte, an deren Ende der unausweichliche Tod stand, über den kein Wort verloren wurde. Die eigentliche Wirklichkeit war also die Sprachlosigkeit, die unformulierbar war. Die Wörter verloren ihren Wert, ihren Sinn. Ich wurde zu einem Menschen ohne Wörter, ich wurde stumm."
HANSJÖRG SCHNEIDER: Kind der Aare. Zürich : Diogenes, 2018, 133

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