Sonntag, Februar 20, 2022

"Er [Fernando] hatte mal eine Idee: Er wollte sich einen Diaprojektor besorgen und ein Dia seines Vaters hineinschieben. Er wollte das Bild überall im Haus projizieren, damit seine Mutter ihren verschwundenen Mann immer vor Augen hätte, den Mann, den sie hinausgeworfen hat, den er seit zwölf Jahren nicht gesehen hat, den sie gegen Irwin eingetauscht hat. Nur zu gern würde er seinen Vater dorthin projizieren, wie ein tag, damit er in der Dunkelheit noch gespenstischer, noch wirklicher ist."
COLUM McCANN: Die grosse Welt. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt Taschenbuch Verlag, März 2011, 270
"Er kam auf den Geschmack, nahm das Ding überallhin mit. Nach einer Weile bezahlte ihm seine Mutter sogar das Entwickeln der Bilder. Sie hatte ihn noch nie so fasziniert gesehen. Eine Minolta SR-T 102. Ihm gefiel, wies sie in der Hand lag. Wenn ihm irgendwas peinlich war - Irwin etwa oder seine Mutter oder wenn er hinausging auf den Schulhof -, konnte er sein Gesicht mit der Kamera abdecken, sich dahinter verstecken.
Wenn er doch nur hier unten bleiben könnte, den ganzen Tag, in der Hitze, von einem Waggon zum anderen turnen, Fotos machen, berühmt werden."
Ebd., 271
"Einmal hat er im Fernsehen einen Typen gesehen, der Geld damit verdient, Ziegelsteine aus Häusern herauszuschlagen. Das war komisch, aber er hat es irgendwie verstanden. Die Art, wie die Gebäude ihr Erscheinungsbild verändern. Die Art, wie das Licht durch die Lücken fällt. Es lässt die Leute anders hinsehen. Es lässt sie stutzen. Man muss die Welt mit einem Blick betrachten, den niemand sonst hat. [...] Und dann denkt er: Ach, halt doch einfach mal dein Maul, Irwin. [...] Aber er schafft es nie, es zu sagen. Die fehlende Verbindung zwischen Gehirn und Mund. Und da kommt die Kamera ins Spiel. Sie ist das unausgesprochene Etwas zwischen ihm und den anderen, der Schutzschild."
Ebd, 274
"Er [Solomon] war glücklich, mehr oder weniger. Er hatte Glück, mehr oder weniger. Er hatte nicht alles, was er wollte, aber er hatte genug. Ja, das war es, was er wollte: nur einen ruhigen Nachmittag voller Nichts."
Ebd., 410
"Das Besondere an der Liebe ist, dass wir in Körpern zum Leben erweckt werden, die nicht die unseren sind."
Ebd., 425
"Wenn man anfängt zu vergessen, ist man verloren."
Ebd., 461
"Die Menschen sind gut oder mässig gut oder nur ein bisschen gut, und das wechselt laufend, aber selbst an einem sehr guten Tag ist niemand vollkommen."
Ebd., 464