Montag, Juni 18, 2007


Bild: Hugo Keller
Regensdorf-Katzensee-Zürich, 29.04.2007
"Verdruckst, autoritär, verlogen sei es damals zugegangen - das war lange Zeit die vorherrschende Meinung.
Und die war keineswegs aus der Luft gegriffen. Den Zwanzigjährigen von heute möchte ich sehen, der sich mit den Sitten und Gebräuchen, den Sprachregelungen und Verboten abfände, die damals herrschten. Der Krawattenzwang war noch lange nicht die schlimmste Zumutung, und dass sich Studenten als 'Herr Kommilitone' anredeten, liess sich verschmerzen. Ärger war, dass über jeder Familie ein sogenannter Haushaltungsvorstand thronte, der vom Gesetzgeber ermächtigte pater familias, der nicht nur über sein eigenes Vermögen, sondern auch über das seiner Frau verfügte. 'Solange du die Füsse unter meinen Tisch stellst, hast du abends um elf Uhr zu Hause zu sein.'
Solche Sätze mussten sich die Siebzehnjährigen anhören. Unbekleidete Damen waren nur im Museum zu besichtigen, andernfalls kam der Staatsanwalt. Für unverheiratete Paare galt der Kuppelei-Paragraf. Kondome gab es nur für Volljährige und nur in der Apotheke. Homosexualität wurde mit gesellschaftlicher Ächtung, Abtreibung mit Gefängnis bestraft. Polizisten trugen Tschako und führten sich wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten auf. Die Frauen wurden nicht nur in der Kirche zum Schweigen angehalten. In der Schule gab es Tatzen mit der Rute. In der Arztpraxis und der Klinik hatte der Patient nichts zu melden. Und so weiter und so fort."

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: Die falschen Fünfziger: eine westdeutsche Reminiszenz. In: NZZ, 16./17.06.2007, B1.

Mittwoch, Juni 06, 2007


Bild: Hugo Keller
Oberbalm, Schweiz, Dezember 2006