Samstag, Juni 18, 2016

"Wenn ich mich unter Menschen umsehe, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt habe: Lehrer, Freunde, Mädchen, Zufallsbekanntschaften, treue alte Gefährten, Verwandte, dann wird mir klar, dass ich keinen einzigen, nicht einmal meine ehemalige Frau und auch nicht meine Geliebte, wirklich gekannt habe. [...]
Man legt sich das Unbekannte mit Hilfe des Bekannten zurecht. [...]
Aber das, was wir uns zurechtlegen, worauf wir zurückgreifen, [...] besteht ja aus ebensoviel Unbekanntem. Wir erklären Rätsel mit Rätseln. [...]
Jeder Mensch birgt zutiefst ein nachtschwarzes Rätsel in sich. Das Dunkel der Pupille ist nichts anderes als die sternenlose Nacht, die Dunkelheit tief im Auge ist nichts anderes als die Dunkelheit des Universums."
LARS GUSTAFFSON: Der Tod eines Bienenzüchters. Frankfurt am Main : Fischer Taschenbuch Verlag, 1980, 119-120

Samstag, Juni 04, 2016

"[...] da er weiss - besser als jeder andere Mensch auf der Welt - dass man des Lebens überdrüssig werden kann, wenn es ausschliesslich auf menschliche Horizonte beschränkt bleibt, und dass das beste Mittel gegen diesen Überdruss ist, den Blick und die Gedanken durch die Himmelskörper schweifen zu lassen, die anscheinend ohne Grund und ohne eine andere Funktion, als eben betrachtet und bedacht zu werden, da oben über unseren Köpfen schweben.
[...] Es gefällt mir, mich in Gedanken im Staub der zwischen den einzelnen Konstellationen sichtbaren Sonnensysteme und im dahinter befindlichen Dunkel zu verlieren, in dem sich Millionen von Welten ohne jeden Nutzen bewegen. Es tut mir gut, bei dem Gedanken an die Unendlichkeit dieser Verschwendung zu verweilen, die wir Universum nennen. Was sind unsere kaum wahrnehmbaren Leben und unsere winzigen Geschichten anderes als Verschwendung in der Verschwendung?"
SEBASTIANO VASSALLI: Marco und Mattio : die Reise des heldenmütigen Retters der Menschheit und seines mysteriösen Weggefährten in den Wahnsinn. Bad Soden : Blauband, 2012, 9

"Die lange und kräftig durcheinandergewirbelte Welt kam nach und nach zur Ruhe und richtete sich wieder ein, doch nicht mehr nach der alten, sondern nach einer neuen Ordnung, die sich in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten schrittweise offenbaren würde. Scheinbar geschieht alles von alleine durch eine Reihe von Impulsen, deren tiefere Ursachen dazu bestimmt sind, ein Geheimnis zu bleiben, so wie die Ursachen geheimnisvoll sind, derentwegen das Getreidekorn spriesst, zu einem Halm wird und aus dem Halm schliesslich die Ähre hervorbringt.
Ebd., 349