Montag, August 22, 2022

 "Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."
ERNST BLOCH: Das Prinzip Hoffnung (Schluss)

Donnerstag, August 18, 2022

 "In Wirklichkeit ist alles, was wir fotografieren, wir selbst im anderen … die ganze Zeit."
EVELYN HOFER
 "Was von ihm bleibt, ist meine Sache, nicht seine: Denn der, den der Tod hat, hat keine Sache mehr. Meine Sache, die mir von ihm bleibt, ist meine Erinnerung an ihn und meine Trauer über meinen Verlust, und nichts ist persönlicher als diese beiden [...]. Die Trauer vergeht, nur die Erinnerung bleibt, wenn sie sich auch verändert. Aber der Mensch hat nichts Grösseres als die Erinnerung. Ist doch sein Erleben schon ein Sich-Erinnern, denn die Gegenwart, wird sie realisiert, ist schon Vergangenheit geworden, wie die Worte, die ich spreche, vergehen, indem ich sie spreche."
FRIEDRICH DÜRRENMATT: Trauerrede für Werner Wollenberger, Zürcher Fraumünster, 22.10.1982, zit. nach: Du, Nr. 909 (November 2021), 74