Montag, April 04, 2011

"Anders als die Ordnungsmodelle der Professoren ist die reale Welt chaotisch und ihre Zukunft nicht berechenbar. Die Geschichte gehorcht keiner immanenten Vernunft, sondern mäandert blind und planlos durch die Zeit, ein spektakulärer, verschwenderischer Umzug ohne Ziel oder höhere Absicht. Sie wird gemacht von Menschen, von hochintelligenten, sinnbedürftigen, moralbegabten, aber unzuverlässigen Wesen, die jederzeit imstande sind zu zerstören, was sie erschaffen haben, barocke Figuren, auf der einen Schulter ein Teufel, auf der anderen ein Engel. Der Bestand der Humangesellschaften ist nicht verankert in einem angeborenen, naturwüchsigen Set sozialer Verhaltensweisen oder in einem unverbrüchlichen göttlichen Sittenkodex, sondern hängt ab von fragilen, frei gewählten Regeln und Werten. Und so, wie Einzelne immer wieder die zivilisatorischen Gesetze brechen, können auch ganze Kollektive den Verlockungen der Allmacht, des Triumphs, des Endzeitrausches erliegen."

EUGEN SORG: Die Lust am Bösen : warum Gewalt nicht heilbar ist. München: Nagel & Kimche 2011, 56-57

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