"Was wir lieben, muss von uns verschieden sein. Die Liebe muss die Gemeinsamkeiten zwischen den Verschiedenen erst herstellen, das ist ihre eigentliche Aufgabe, und anders wäre sie schal."
MARTIN R. DEAN: In den Echokammern des Fremden : Essays. Zürich : Atlantis, 2025, 149
"Noch einmal erlebt man [in Almodóvars Film Julieta] mit, dass Liebe wehtun kann, wenn ihr Schicksalhaftes hervortritt. Mit jeder Einstellung führt der Film eine Liebe vor, deren Intensität über unsere Selbstbefreiungs- und Optimierungsstrategien hinausgeht. Sie verbindet nicht nur das Paar, sondern auch die Eltern mit ihrer Tochter. Für Almadóvars Liebesgeschichte sind alle klugen Ratgeber verloren."
Ebd., 150
" Die Liebe zwischen Eltern und Kindern ist eine ebenso intensive Herausforderung wie jene zwischen Partner*innen, auch wenn sie als selbstverständlich und naturgegeben erscheint."
Ebd., 153
"In den siebziger Jahren erhielt ich eine Super-8-Kamera geschenkt. Ich nahm sie mit auf jene Ausflüge, die Spektakuläres versprachen.Was diese Filme dann aber zeigten, war gerade das Gewöhnlichste: einen Wasserfall, eine Kuhweide, später dann meine Freundin auf dem Fahrrad. [...] Während wir glaubten, die kleinen, aufregenden Abweichungen vom gewöhnlichen Leben aufzuzeichnen, filmten wir in Wahrheit unseren banalen Alltag. Wir filmten, um die Ereignisse des Lebens, das uns schon damals zu schnell zu vergehen schien, festzuhalten."
Ebd., 168
"Jetzt, wo unsere bürgerliche Epoche an ein Ende kommt, ist es keine schlechte Zeit für alte Fotos und Super-8-Filme. Auch das dürften Annie Ernaux' Film [Die Super-8-Jahre] und die Super-8-Filme zeigen: Die siebziger Jahre waren, trotz der grossen Verwerfungen wie Watergate, Ölschock oder Vietnamkrieg, für Europa eine friedliche und prosperierende Zeit. Wir glaubten an den Aufbruch in eine bessere Welt und vertrauten darauf, dass die Weltgemeinschaft auf dem Weg zu mehr Frieden war, dass der Fortschritt unseren Alltag erleichtern und dass die Technik die Lebensqualität heben würde.
Fünfzig Jahre nach der Zeit in Annie Ernaux' Film wird der Ukraine-Krieg zu der Zäsur, die die Patina auf unseren Super-8-Filmen vollends hervortreten lässt. Denn die Bildarchive von heute, die Schnappschüsse auf Instagram, Twitter und Facebook, sind nicht mehr privat. Das Private ist in einer Bubble verschwunden. Tausend Bilder auf dem iPhone sind so gut wie keins, denn sie fügen sich zu keiner Erzählung mehr von dem, was Ich ist oder meine Familie."
Ebd., 171


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