Dienstag, Februar 09, 2010

"Es kam leicht vor, dass Fassung und Gleichgewicht ausbrachen wie scheugewordene Pferde. Ratlos und entfremdet stand man vor seinem nach Zeit und Kräften begrenzten Dasein ... Dafür trat eine vage Hoffnung ein, dass man sich weittragenden und -bewegenden Mächten getrost überlassen dürfe. Sie zu erkennen, gab zuerst das Gefühl einer grossen Freiheit, doch bald war man ermattet und sonderbar enteignet - wie konnte das zugehen? Ja, man sah bald ein, dass es galt, Verführungen zurückzuweisen und sich mannhaft zu behaupten. Denn wie sollen wir sonst den Kreis unseres Daseins überstehen, der sich am Ende schliesst?
[...]
Wir stiegen von der Passhöhe hinab, in das Tal, welches fast ein Abgrund war zwischen zwei Gebirgen. Unten gab es nichts, es war ein totes Tal, weit entfernt von der Welt, weit entfernt von Pflanzen und Bäumen - nur Stein statt dessen, und Glut, die sich darin festsog mit tausend Füssen. Graue Vipern, graue Eidechsen, leblos und zart aufgerollt, nur ihre Augen lebten: schwarze Nadelköpfchen, und ein Zünglein...
[...]
Man kann, was man nicht mit eigenen Augen gesehen und umarmt hat, nicht wirklich lieben; selbst die Sehnsucht ist immer nur verströmende, verblutende Einsamkeit."

ANNEMARIE SCHWARZENBACH, in: Alexis Schwarzenbach: Annemarie Schwarzenbachs Persienreisen im Spiegel ihrer Texte und Fotografien. Hrsg.: Schweizerische Botschaft, Teheran. Lenzburg: Merker 2008, 61-62, 104, 132

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