Montag, Dezember 25, 2006

"Aber ihre Darstellung dessen, wie er sich ein Leben lang verhalten hatte, war nicht einmal eine Karikatur, sondern seiner Einschätzung nach ein Porträt alles dessen, was er nicht war, eine Darstellung, die beharrlich alles verkleinerte, was an ihm in Ordnung war und was, wie er glaubte, fast alle anderen genauso sahen. Sie verkleinerten seinen Anstand und vergrösserten seine Schwächen, und das aus einem Grund, der doch nach so langer Zeit eigentlich nicht mehr so gewichtig sein konnte. Bis in ihre Vierziger blieben sie ihrem Vater gegenüber die Kinder, die sie gewesen waren, als er ihre Mutter verlassen hatte, Kinder, die von Natur aus nicht begreifen konnten, dass es für menschliches Verhalten mehr als nur eine Erklärung geben konnte - allerdings Kinder mit dem Auftreten und der Aggressivität von Männern, gegen deren Wühlarbeit er nie eine stabile Verteidigung aufrechtzuerhalten wusste. Sie hatten sich dafür entschieden, den abwesenden Vater leiden zu lassen, und so litt er denn und verschaffte ihnen diese Macht über sich. Für sein Fehlverhalten leiden war alles, was er jemals tun konnte, um sie zufriedenzustellen, seine Rechnung zu begleichen und wie der beste aller Väter ihre unerträgliche Opposition hinzunehmen."

PHILIP ROTH: Jedermann. München, Wien: Hanser 2006, 95-96.

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