Dienstag, August 02, 2005

"Doch plötzlich, im pelzgefütterten Mantel, in einer über die Ohren gehenden Pelzmütze, stand Zolti Varga vor uns, der Photograph aus Újfalu, der uns von frühester Kindheit an photographiert hatte. Drei Monate alt, musste ich auf einem Podium bäuchlings liegen, nackt, Haare hatte ich fast keine, ich guckte ziemlich böse drein. An den Handgelenken die Fettpolster gut genährter Kinder. Dann auf einem anderen Bild, vielleicht drei Jahre später, mit langen Haaren, in einer Matrosenbluse sitze ich auf dem Schoss meines Vaters. Auf dem Schoss meiner Mutter hatte meine Schwester Eva, den Kopf kokett zur Seite geneigt, sich's bequem gemacht.
Wir warteten darauf, dass aus dem schwarzen, wie eine Ziehharmonika gefalteten Wachstuchtrichter, an dessen einem Ende Zolti Varga den Kopf wie in den Rachen der Finsternis hineingesteckt hatte, dass daraus (wer weiss, ob der Kopf des Meisters überhaupt noch vorhanden war) nun endlich das versprochene Vögelchen geflogen kommen würde. An einen Kanarienvogel dachten wir, doch dann war nur ein Klicken zu hören, und Zolti Varga zog seinen Kopf unter dem Umhang des mit einem Glasauge versehenen Kastens hervor, wie jemand, der, ein bisschen rot geworden und schweissgebadet, auf Applaus wartet, zu Recht nach der phantastischen Nummer, deren zweifelloser Schönheitsfehler es war, dass das versprochene Vögelchen in keinerlei Gestalt auftauchte."

GYÖRGY KONRAD: Glück. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2005, 108-109.

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